USA: Der Markt erwartet zu viele Zinserhöhungen

Angesichts hoher Inflationsraten erwartet der Markt, dass die US-Notenbank ihren Leitzins bis zum Jahresende um weitere 200 Basispunkte erhöht. Das ist aus meiner Sicht zu viel. Zum einen beginnt die Wirtschaft bereits jetzt unter den strafferen Financial Conditions zu leiden und zum anderen gibt es wenngleich noch zaghafte Hoffnungsschimmer für eine nachlassende Inflationsdynamik.

1. Aggressive Zinserhöhungen eingepreist

Die globale Zinswende ist längs eingeläutet. Zahlreiche Zentralbanken haben in den vergangenen Monaten auf die verbesserte wirtschaftliche Lage und die gestiegenen Inflationsraten durch eine Straffung der Geldpolitik reagiert. Ein besonderer Fokus liegt dabei wie immer auf den Aktionen der US-Notenbank (Fed). Anders als die Europäische Zentralbank (EZB) hat die Fed ihren Leitzins in diesem Jahr bereits erhöht – zuletzt um 50 Basispunkte – und gleichzeitig angekündigt, ihre Bilanzsumme ab Anfang Juni zu reduzieren.

Angesichts der nach wie vor hohen Inflationsraten in den USA kann es keinen Zweifel daran geben, dass schon bald weitere Zinserhöhungen folgen werden. Die Frage ist nur, “wie viele?“. Nach Berechnungen der Chicago Mercantile Exchange (CME), an der u.a. die Fed Funds Futures Kontrakte gehandelt werden, erwartet der Markt derzeit, dass die Fed ihren Leitzins bis zum Jahresende von aktuell 0,75%-1,00% auf 2,75%-3,00% anheben wird (siehe Tabelle; in der Kopfzeile steht das erwartete Zinsniveau in Basispunkten).

Quelle: Chicago Mercantile Exchange (May 13, 2022)

Zusammen mit den bereits erfolgen Zinserhöhungen (25bp im April und 50bp im Mai) würde der Leitzins im laufenden Jahr damit um 275bp angehoben werden. Das allein wäre die kräftigste jährliche Straffung der US-Geldpolitik seit den späten 80er Jahren. Hinzu kommt noch das Auslaufen der Quantitativen Lockerung. Besonders aggressiv ist der eingepreiste Zinspfad für den Zeitraum April bis September, in dem die Zinsmärkte für vier aufeinanderfolgende Sitzungen (incl. der im Mai) jeweils 50bp-Schritte erwarten.

Ich denke, das ist zu viel! Nicht nur liegen diese Markterwartungen um etwa 100bp über der mittleren Projektion des Offenmarktausschusses (FOMC). So zeigt der sogenannte “Dot-Plot“, der die Leitzinserwartungen der FOMC-Mitglieder wiedergibt, für Ende 2022 einen Zinsniveau von 1,75%-2,00% (Median der einzelnen Prognosen). Noch wichtiger für meinen Ausblick sind ökonomische Gründe. Erstens hinterlassen die deutlich gestrafften Financial Conditions bereits Spuren in der Wirtschaft und zweitens gibt es unter der Oberfläche einige wenn auch noch zaghafte Entwicklungen, die auf ein Nachlassen der Inflationsdynamik hinweisen. Auch die Bondmärkte scheinen sich zuletzt in “meine” Richtung bewegt zu haben.

2. Straffere Financial Conditions hinterlassen ihre Spuren

Der von der Federal Reserve Bank of Chicago veröffentlichte National Financial Conditions Index (NFCI) hat sich in den vergangenen Monaten deutlich verschlechtert. Besonders dramatisch war die Straffung des Finanzumfelds zwischen Januar und Mai diesen Jahres. Diese Entwicklung hat bereits zu einer Eintrübung der wirtschaftlichen Aktivität geführt. So ist der vielbeachtete ISM-Einkaufsmanagerindex für das Verarbeitende Gewerbe von über 60 auf rund 55 Punkte gefallen. Und basierend auf historischen Zusammenhängen spricht das aktuelle Niveau des NFCI dafür, dass der ISM in den kommenden Monaten noch weiter in Richtung der wichtigen 50-er Marke fällt (siehe Grafik). Andere Financial Conditions Indizes, wie z.B. von der St. Louis Fed oder von Goldman Sachs, bestätigen diese Entwicklung.

Quelle: eigene Berechnungen, Institut for Supply Management, Federal Reserve Bank of Chicago

Zusätzlich zu steigenden Zinsen (am kurzen und langen Ende), weiteren Spreads, fallenden Aktienkursen, einem immer stärker werdenden US-Dollar und höheren Energiepreisen sieht sich die US-Wirtschaft noch einem weiteren Gegenwind ausgesetzt. So wird nach Angaben des IWF das strukturelle Primärdefizit der USA (strukturell: konjunkturbereinigt; primär: ohne Zinsen) in diesem Jahr um 2,5% des BIP fallen. Das bedeutet eine erhebliche Straffung der Fiskalpolitik und eine spürbare Belastung der Wirtschaft (siehe Grafik).

Quelle: IMF Fiscal Monitor April 2022

Die Auswirkungen dieser Gegenwinde sieht man nicht nur im Verarbeitenden Gewerbe (s.o.) sondern auch bereits sehr deutlich am Immobilienmarkt, wo die Hausverkäufe zuletzt rückläufig waren. Auch das wichtige Konsumentenvertrauen ist angesichts des adversen Umfeldes förmlich eingebrochen. So fiel der Index der Universität Michigan zuletzt auf 59,1 Punkte – ein Wert, den man üblicherweise nur in Rezessionen beobachten kann (siehe Grafik; Rezessionen grau schattiert).

Quelle: U Michigan, NBER

3. Hoffnungsschimmer für nachlassenden Preisdruck

Die Inflationsrate in den USA ist zweifellos weiterhin viel zu hoch. Zudem gibt es aktuelle Entwicklungen, wie z.B. die erneuten Lockdowns in China, die das Potenzial haben, die Preissteigerungen für einen längeren Zeitraum hoch zu halten. Deshalb wird die US-Notenbank ihre Geldpolitik ja auch weiter normalisieren. Allerdings ist die Situation sehr dynamisch, sodass eine schlichte Fortschreibung der hohen Inflationsraten zu einfach und meines Erachtens nach falsch ist. Schließlich gibt es nicht nur Faktoren, die die Preise nach oben treiben, sondern auch Entwicklungen, die auf niedrigere Inflationsraten hindeuten – nur werden diese in der aktuellen Situation leicht übersehen.

Einer der wichtigsten Einflussfaktoren für die weitere Geldpolitik ist die Lohnentwicklung. Anders als in Europa, wo die Löhne bislang überhaupt nicht auf die höheren Inflationsraten reagiert haben, gab es in den USA zum Teil erhebliche Zuwächse. So stiegen die durchschnittlichen Stundenlöhne (average hourly earnings) in 2021 um knapp 7%. Seitdem hat sich die Dynamik aber spürbar verlangsamt und zwischen Januar und April lag der Zuwachs nur noch bei annualisierten 3,8% (siehe Grafik). Diese Entwicklung veranlasste sogar einen Jason Furman, der über Monate hinweg die Fed zu schnelleren Zinserhöhungen gedrängt hatte, zu der Vermutung, dass “Slowing US wage growth could ease inflation“. Gemeinsam mit den nach wie vor moderaten langfristigen Inflationserwartungen reduziert diese Entwicklung das Risiko für Zweitrundeneffekte und somit die Gefahr für anhaltend hohe Inflationsraten.

Zudem gibt es bereits einige Bereiche, in denen die Preise zuletzt gesunken oder zumindest nicht weiter angestiegen sind. Dazu zählen Gebrauchtwagen, Bekleidung oder verschiedene Rohstoffe von Metallen bis zur Energie. Entsprechend ist der von der Cleveland Fed berechnete Trimmed-mean CPI (schneidet jeweils die am stärksten gestiegenen und am stärksten gefallenen Komponenten ab) zuletzt deutlich langsamer angestiegen als noch vor ein paar Monaten (siehe Grafik).

Ein wichtiger Treiber für die hohe (Kern-)Inflationsrate waren zuletzt Wohnkosten, welche im Jahresverlauf um mehr als 5% zulegten. Und da diese Kategorie mit einem Gewicht von 32% in die Berechnung des Verbraucherpreisindex eingeht (und sogar einen Anteil von 41% an der Kernrate hat), trug diese Entwicklung 1,6 Prozentpunkte zur Inflationsrate bei. Da sich die steigenden Zinsen aber bereits spürbar auf die Immobiliennachfrage ausgewirkt haben, gehe ich davon aus, dass auch die Wohnkosten im Verbraucherpreisindex in der zweiten Jahreshälfte deutlich langsamer zulegen werden und so weiteren Druck von der Inflationsrate nehmen (siehe Grafik).

Quelle: National Association of Realtors, Bureau of Labor Statistics

4. Langsamere Zinsanhebungen zum Jahresende

In dem von mir skizzierten Szenario wird die Fed also zunächst ihre geldpolitische Normalisierung wie geplant (und eingepreist) fortsetzen. Insbesondere dürfte der nächste Zinsschritt noch einmal eine 50bp Erhöhung sein. Im Verlauf des zweiten Halbjahres aber, wenn die sowohl die konjunkturelle als auch die Inflationsdynamik nachlassen, dürfte sich das Tempo der Zinsanhebungen verlangsamen. Die Bondmärkte haben zuletzt bereits damit begonnen, die Wachstumssorgen stärker und die Inflationssorgen etwas weniger stark zu gewichten.

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