Die Inflationssorgen sind global und nehmen täglich weiter zu. In meinem zweiten Blog vergleiche ich zunächst die Preisentwicklung in den USA mit der in Deutschland und erkläre dann, weshalb die US-Notenbank ihre Geldpolitik schneller normalisieren muss (und wird) als die Europäische Zentralbank.
I. Inflationsvergleich USA – Deutschland
1. Up, up and away!
In Deutschland ist die Inflationsrate zuletzt auf 4,5% gestiegen, den höchsten Stand seit 1993. Doch so dramatisch sich dieser Wert für uns auch anhören mag – die Amerikaner würden sicherlich gerne mit uns tauschen. Denn auf der anderen Seite des Atlantiks erhöhten sich die Verbraucherpreise (CPI) in den vergangenen zwölf Monaten sogar um stolze 6,2%. Und dabei gab es dort nicht einmal steuerliche Sondereffekte, die einen Teil des Inflationsschubes erklären könnten. (Zur Erinnerung: In Deutschland beläuft sich der Einfluss der ausgelaufenen MwSt-Senkung und der CO2-Bepreisung auf die Inflationsrate derzeit auf 1,25-2,1 Prozentpunkte (mehr Details hier)). Nachdem am vergangenen Donnerstag selbst Paul Krugman (via Twitter) die unterschiedlichen Inflationsraten in den USA und Europa nicht ohne weiteres erklären konnte, widme ich mich zunächst diesem Thema.
2. Äpfel mit Äpfeln – vergleichbare Inflationskomponenten
Da sich die Statistikämter aus irgendeinem Grund nie auf eine einheitliche Form einigen können (alle, die schon einmal mit internationalen Daten gearbeitet haben, kennen das Gefühl … ), bestand die erste Herausforderung darin, die Verbraucherpreisindizes für Deutschland und die USA in vergleichbare Subkomponenten aufzuteilen. Orientiert habe ich mich dabei an der Kategorisierung des Statistischen Bundesamtes, wollte aber aufgrund der aktuellen Entwicklungen sowohl die Energiepreise als auch die Preise für Fahrzeuge separat ausweisen. Herausgekommen sind die folgenden fünfzehn Waren- und Dienstleistungsgruppen: Nahrungsmittel, Energie, Alkohol & Tabak, Bekleidung, Mieten, Wohnnebenkosten (ohne Energie), Möbel & Einrichtungsgegenstände, Gesundheit, Fahrzeuge, andere Transportkosten (ohne Energie), Kommunikation, Freizeit & Unterhaltung, Bildung, Gaststätten & Hotels und sonstige Waren & Dienstleistungen. Hier zudem ein kurzer Überblick darüber, mit welchen unterschiedlichen Gewichten diese Komponenten in die Berechnung der jeweiligen Verbraucherpreisindizes eingehen:
Folgende Gruppen gehen mit einem höheren Gewicht in die Berechnung des US CPI ein:
- Mieten (Gewicht in den USA 10,6pp höher als in Deutschland)
- Fahrzeuge (+4,7pp)
- Gesundheit (+3,9pp)
- Gaststätten & Hotels (+2,6pp)
- Bildung (+2,0pp)
- Kommunikation (+1,0pp)
Folgende Gruppen gehen mit einem höheren Gewicht in die Berechnung des deutschen CPI ein:
- Freizeit & Unterhaltung (Gewicht in Deutschland 5,7pp höher als in den USA)
- sonstige Waren & Dienstleistungen (+4,3pp)
- sonstige Wohnkosten (ohne Energie) (+3,8pp)
- Energie (+3,0pp)
- Alkohol & Tabak (+2,2pp)
- Nahrungsmittel (+2,0pp)
- Bekleidung (+1,8pp)
- Möbel und Einrichtungsgegenstände (+1,2pp)
- sonstige Transportausgaben (ohne Fahrzeuge und Energie) (+0,9pp)
Auf Basis dieser sektoralen Daten lassen sich nun die jüngsten Inflationsentwicklungen in den USA und Deutschland miteinander vergleichen.
3. Ein deutlich breiterer Preisdruck in den USA
Das erste Ergebnis dieses Vergleichs ist, dass sowohl in den USA als auch in Deutschland knapp 80% der Inflationsanstiege seit April 2019 auf nur drei Warengruppen zurückzuführen sind: Energie, Fahrzeuge und Nahrungsmittel. April 2019 eignet sich dabei sehr gut als Referenz, da in diesem Monat die Inflationsrate sowohl in den USA als auch in Deutschland bei 2% lag und sich die Corona-Krise noch nicht in den Preisdaten niedergeschlagen hatte.


Das zweite wichtige Ergebnis ist, dass in den USA die Preisanstiege für nahezu alle Waren- und Dienstleistungen größer sind als in Deutschland. Der folgende Scatter-Plot macht dies deutlich, indem er die aktuellen Inflationsraten für alle fünfzehn Kategorien vergleicht. Die rote Linie verläuft gedacht im 45°-Winkel. Punkte oberhalb dieser Linie bedeuten, dass der Preisanstieg für diese Produktgruppe in den USA größer ist als in Deutschland, bei Punkten unterhalb der Linie ist es umgekehrt.

Da nahezu alle Punkte oberhalb der Linie liegen, wird deutlich, dass die höhere Inflationsrate in den USA nicht etwa auf die unterschiedlichen Gewichte der einzelnen Produktgruppen zurückzuführen ist – im Gegenteil. Wenn man die deutschen Gewichte auf den US-Verbraucherpreisindex anwenden würde, wäre die US-Inflationsrate sogar um 0,4 Prozentpunkte höher. Und wenn man umgekehrt die amerikanischen Gewichte auf den deutschen Verbraucherpreisindex anwendet, wäre unsere Inflationsrate 0,5 Prozentpunkte niedriger. Das Fazit ist also, dass die Preise in den USA durch die Bank schneller steigen als in Deutschland – und das ganz ohne steuerliche Sondereffekte. Doch wie geht es weiter?
II. Der Inflationsausblick für die USA
Um es zusammenzufassen: Ich gehe davon aus, dass es kurzfristig noch weitere spürbare Erhöhungen der Autopreise geben wird, mit entsprechenden Folgen für die Kern- und Gesamtinflationsrate. Davon abgesehen dürfte der Höhepunkt der Preisdynamik bereits im Frühjahr erreicht worden sein, sodass sich die Teuerungsrate im kommenden Jahr verlangsamt. Allerdings bin ich für die USA deutlich weniger optimistisch als für Deutschland, dass die 2%-Marke in 2022 erreicht wird.
1. Anhaltender Preisdruck bei Autos
Neben Energie und Nahrungsmitteln waren Fahrzeuge der wesentliche Inflationstreiber in den USA (s.o.). So sind die Preise für Neuwagen in den vergangenen zwölf Monaten um 10% angestiegen und die Preise für Gebrauchtwagen sogar um 26% in die Höhe geschnellt. Und der Gebrauchtwagenindex der Manheim Gruppe deutet darauf hin, dass das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht ist. Wie die nachfolgende Grafik zeigt, könnten die Preise für Gebrauchtwagen in den kommenden ein bis zwei Monaten sogar noch einmal um 10% steigen. Dies allein würde den CPI um 0,3% anheben und die Inflationsrate noch vor Jahresende über die Marke von 6,5% heben.

2. Vorgelagerter Preisdruck geht bereits wieder zurück
Abgesehen vom Autosektor, der nach wie vor unter der Halbleiter-Krise leidet, gibt es aber klare Anzeichen dafür, dass auch in den USA (genau wie in Deutschland) der Höhepunkt der Preisdynamik bereits im Frühjahr erreicht wurde. Darauf deuten nicht zuletzt die Erzeugerpreise (PPI) hin. Meine Schlussfolgerung basiert freilich nicht auf dem Headline Index (PPI final demand), welcher im Oktober – aufgrund hoher Energiepreise – noch einmal kräftig angestiegen ist und aktuell um stolze 8,6% über dem Wert des Vorjahres liegt. Aussagekräftiger sind vielmehr die Erzeugerpreisindizes für vorgelagerte Zwischenprodukte. Nachdem diese in der ersten Jahreshälfte noch um mehr als 50% angestiegen waren, hat sich ihr Zuwachs bereit seit Jahresmitte wieder deutlich verlangsamt (siehe Grafik). So sind die Preise für verarbeitete Produkte (ohne Nahrungsmittel und Energie) in den vergangenen sechs Monaten “nur noch” um annualisierte 20% und die Preise für unbearbeitete Materialien um annualisierte 15% angestiegen. Und zuletzt ging die Dynamik noch weiter zurück, denn zwischen Juli und Oktober fielen die Preise für unbearbeitete Materialien ohne Nahrungsmittel & Energie sogar um 3%. Berücksichtigt man zudem, dass sich der Anstieg der Energiepreise in den vergangenen Wochen stark abgeflacht hat, muss man konstatieren, dass der vorgelagerte Preisdruck für Güter deutlich nachgelassen hat. Dasselbe gilt übrigens auch für die Preise vorgelagerter Dienstleistungen.

3. … aber bis zur 2% ist es ein langer Weg
Damit unterscheidet sich mein Inflationsausblick für die USA bislang gar nicht so sehr von meinem Ausblick für Deutschland: Kurzfristig geht es noch etwas weiter nach oben und im kommenden Jahr beruhigt sich dann die Situation. Doch hier enden dann die Gemeinsamkeiten. Denn während ich nach wie vor davon ausgehe, dass die Inflationsrate in Deutschland zum Jahreswechsel 2022/23 wieder spürbar unter 2% liegen wird, dürfte der Anstieg des Verbraucherpreisindex in den USA auch dann noch deutlich über der 2%-Marke liegen. Ein wesentlicher Grund dafür ist das konjunkturelle Momentum.
Insbesondere dank der Stimulusprogramme der Biden-Regierung dürften die USA nach Schätzungen des IWF als einziges Land bereits in naher Zukunft eine deutlich positive Output-Lücke aufweisen (siehe Grafik). Damit einher gehen auch merkliche Beschäftigungsanstiege und eine spürbar rückläufige Arbeitslosenquote.

Aktuell steht die Arbeitslosenquote in den USA zwar noch bei 4,6% und damit etwa einen Prozentpunkt höher als vor Beginn der Pandemie. Allerdings liegt sie damit nicht nur bereits um mehr als 10 Prozentpunkte unter dem im vergangenen April erreichten Corona-Höchstwert, sondern auch nur noch um 0,6 Punkte über der Marke von 4,0%, welche die Mitglieder des Offenmarktausschusses (FOMC) als Wert für die Vollbeschäftigung ansehen.
Wie angespannt der Arbeitsmarkt bereits jetzt ist, zeigt nicht zuletzt der am Freitag veröffentlichte JOLTS-Bericht (Job Openings and Labor Turnover). Danach gibt es in den USA derzeit etwa 10,5 Mio. offene Stellen. Bei rund 7,4 Mio. Arbeitslosen bedeutet das rein rechnerisch, dass auf jede arbeitslose Person nicht weniger als 1,4 freie Arbeitsplätze kommen (siehe Grafik). Die hohe Arbeitsnachfrage der Unternehmen hat auch dazu geführt, dass mehr und mehr Personen ihren Job freiwillig kündigen. So stieg die Zahl der “Quits” im September auf einen neuen Rekordwert von 4,4 Mio. Ehemalige Fed-Präsident*innen wie Alan Greenspan oder Janet Yellen haben diese Entwicklung stets genau verfolgt, da freiwillige Kündigungen ein guter Indikator für die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer sind.

Und in der Tat: Anders als in Deutschland hat diese Entwicklung in den USA auch bereits zu deutlich höheren Löhnen geführt. So zeigt der Employment Cost Index (ECI), dass die Löhne & Gehälter im Privatsektor in den vergangenen vier Quartalen um 4,6% angestiegen sind. Das ist der kräftigste Zuwachs dieses Indikators – übrigens mein präferiertes Maß, wenn es um die Entwicklung der Lohnkosten geht – seit Mitte der 80er Jahre. Andere Lohnindikatoren bestätigen diese Entwicklung: Die durchschnittlichen Stundenlöhne stiegen im Jahresvergleich um 5,8% und der Atlanta Fed Wage Tracker um 4,4% …

Freilich bedeuten kräftigere Lohnanstiege nicht automatisch höhere Konsumentenpreise. Denn zunächst müssen die Unternehmen erst einmal in der Lage sein, Ihre Kosten weiterzugeben. Zudem sind auch die mittelfristigen Inflationserwartungen bislang nicht nach oben ausgebrochen. Trotzdem stellen die aktuellen Entwicklungen am Arbeitsmarkt zweifellos ein gewisses Risiko für die Inflationsentwicklung dar. Das gilt umso mehr als Präsident Biden ja nach dem American Rescue Plan, und dem Infrastructure Investment and Jobs Act in absehbarer Zeit auch noch ein Klima-Programm verabschieden möchte. Das wäre ohne Frage immens wichtig für die Umwelt; aber gleichzeitig dürften die notwendigen Investitionen die Wirtschaft noch weiter ankurbeln (auch wenn nicht ganz klar ist, wie schnell eventuelle Maßnahmen umgesetzt werden). Die San Francisco Fed schätzt in einem aktuellen Economic Letter, dass der American Rescue Plan allein die Inflationsrate bis 2022 um 0,3pp anhebt.
III. Geldpolitik handelt bereits
Für die US-Notenbank ergibt sich daraus ein relativ klares Szenario. Unter der Annahme (und Hoffnung), dass die USA und die Welt nicht in einen neuen Lockdown schlittern, gibt es für die Fed eigentlich keinen Grund mehr, die Notprogramme noch deutlich länger weiterlaufen zu lassen. Diese Einschätzung teilt das FOMC und hat entsprechend bereits im November damit begonnen, die Geschwindigkeit der Anleihenkäufe zu verringern. Anstatt, wie bisher, monatlich Anleihen (Staatsanleihen und Hypothekenpapiere) im Wert von 120 Mrd. USD zu kaufen, wurde der Betrag im November auf 105 Mrd. reduziert. Zudem wurde vom FOMC bereits eine weitere Verringerung auf 90 Mrd. für Dezember angekündigt, und für die kommenden Monate eine analoge Reduktion in Aussicht gestellt. Entsprechend könnte das Aufkaufprogramm bis Mitte 2022 beendet sein. Nach einer kurzen Verschnaufpause, in der die Notenbank beobachten wird, wie der Finanzmarkt ohne diese anhaltenden Liquiditätsspritzen auskommt, dürfte es dann in der zweiten Jahreshälfte ein bis zwei Zinsanhebungen geben. Damit wird die Fed der EZB spürbar voraus sein – aber das ist ja nichts ungewöhnliches. Denn auch in der Vergangenheit lief die Geldpolitik in Europa der Entwicklung in den USA stets um ein paar Monate bis Quartale hinterher – sowohl bei Zinssenkungen als auch bei Zinserhöhungen. Und inhaltlich ist die größere Vorsicht in Europa auch geboten. Denn, anders als in den USA ist in Europa die Output-Lücke nicht geschlossen (geschweige denn positiv), gibt es keine massiven Fiskalprogramme und gibt es auch keinen spürbaren Lohndruck.
Ein Kommentar zu “Weshalb die Geldpolitik in den USA schneller normalisiert wird als in Europa”