Politik sollte von kurzfristigen Maßnahmen zur Inflationsbekämpfung absehen

Im aktuellen Ifo Schnelldienst durfte ich gemeinsam mit Yasmin Fahimi (Vorsitzende des DGB), meinem ehemaligen Kollegen Timo Wollmershäuser (Konjunkturchef des ifo Instituts), Aymo Brunetti (Uni Bern), Niklas Becker (Germany Trade and Invest), Hagen Lesch (Institut der deutschen Wirtschaft) und Gunther Schnabl (Uni Leipzig) das heiße Thema „Inflation“ diskutieren. Insbesondere ging es darum, wie die Politik die Folgen der rekordhohen Teuerungsraten abfedern kann.

Der Abstract meines Artikels (S. 9-13) lautet:

Auf beiden Seiten des Atlantiks sind die Inflationsraten in den vergangenen Monaten dramatisch in die Höhe geschossen. Dabei haben die USA angesichts hoher Kerninflationsraten und kräftiger Lohnzuwächse aktuell noch das größere Inflationsproblem, sodass die Federal Reserve schon früher aktiv werden musste als die EZB. Allerdings ist die Geldpolitik nicht schuld an der aktuellen Inflation – und lösen können höhere Zinsen das Problem ebenfalls nicht. Auch die Fiskalpolitik steht dieser durch negative Angebotsschocks induzierten Teuerung relativ hilflos gegenüber. Abwenden kann sie den gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrtsverlust jedenfalls nicht. Stattdessen sollte sich der Staat vor allem auf die Abmilderung der Symptome durch maßvolle Umverteilung konzentrieren. Eine wichtige Maßnahme ist die zielgerichtete finanzielle Unterstützung der unteren Einkommensgruppen. Breiter angelegte Stimulusprogramme sind dagegen unverhältnismäßig teuer und könnten zudem dazu führen, dass die Inflation noch weiter ansteigt.

Den Schnelldienst findet man hier.

Was ist mit dem Tankrabatt passiert?

Nach meinen Berechnungen landen aktuell 47% (Super) bzw. 56% (Diesel) des Tankrabatts bei den Mineralölkonzernen. Und das, nachdem diese auch zuvor schon zu den großen Profiteuren des Ukraine-Krieges gezählt haben.

Anfang des Monats, trat der Tankrabatt („Befristete Senkung der Energiesteuer für Kraftstoffe im Straßenverkehr„) in Kraft. Um die Verbraucherinnen und Verbraucher angesichts stark gestiegener Energiekosten zu entlasten, wurden die Energiesteuern für Superbenzin um 29,55 ct. pro Liter und für Diesel-Kraftstoffe um 14,04 ct. pro Liter gesenkt. Inclusive der fälligen Mehrwertsteuer sollten somit die Preise an den Tankstellen um 35,2 ct. pro Liter (Super) bzw. um 16,7 ct. pro Liter (Diesel) zurückgehen. Davon ist aber auch heute, neun Tage nach dem Beginn der Steuersenkung, nicht viel beim Verbraucher angekommen. Bevor wir die Ursachen dafür diskutieren, zunächst ein Exkurs:

Was beeinflusst die Benzinpreise?

Die Preise, die wir an der Tankstelle zahlen, sind das Ergebnis verschiedener Faktoren. Die wichtigsten sind

  • Der Rohölpreis
  • Der EUR-USD Wechselkurs (da der Rohölpreis üblicherweise in USD denominiert ist)
  • Die Raffineriemarge (der sogenannte crack spread)
  • Abgaben und Steuern (19% MwSt, Energiesteuer, CO2-Abgabe).
  • Transportkosten und andere Kosten.

Die folgenden Grafiken zeigen, wie stark diese Komponenten zum Anstieg der Benzinpreise im Zuge des Ukraine-Krieges beigetragen haben („Ölpreis“ ist der bereits in Euro umgerechnete Brent-Preis pro Liter. „Steuern und Abgaben“ beinhalten MwSt, Energiesteuer und CO2-Abgabe). Man erkennt, dass das Gros der Preissteigerungen zwischen Anfang Januar und Ende Mai auf den Anstieg der Rohölpreise zurückzuführen ist. Gleichzeitig weiteten sich aber auch die Raffineriemargen deutlich aus. Dabei muss man wissen, dass sich auch die Raffinerien zum Großteil im Besitz der großen Mineralölfirmen befinden. Der Anstieg der Steuern und Abgaben ist allein auf höhere MwSt-Einnahmen des Staates aufgrund der gestiegenen Preise zurückzuführen.

Quelle: Eigene Berechnungen; Daten vom ADAC, Bundesfinanzministerium, Statistisches Bundesamt.

Wo ist der Tankrabatt geblieben?

Damit kommen wir zurück zum Tankrabatt. Die folgende Grafik zeigt, dass die Benzinpreise Anfang Juni durchaus gefallen sind – allerdings nur, nach einem kräftigen Anstieg in der letzten Mai-Woche. Zudem haben die Preise auch in den vergangenen Tagen wieder nach oben tendiert.

Quelle: Dashboard Deutschland

Nachfolgend habe ich mir die Entwicklung der einzelnen Benzinpreiskomponenten einmal genauer angesehen. Um dabei zu verhindern, dass die möglicherweise „strategisch“ erfolgten Preiserhöhungen in der zweiten Monatshälfte die Daten verzerren, ist mein Referenzdatum Mitte Mai, also einige Tage bevor der die Senkung der Energiesteuer im Parlament verabschiedet wurde.

Das Ergebnis der Analyse ist ebenso eindeutig wie ernüchternd: Beim Super-Benzin kommen von der Steuersenkung in Höhe von 35,2 ct. pro Liter lediglich 41% beim Endverbraucher an (der Benzinpreis verringerte sich zwischen dem 16.5. und dem 10.6. von 2,13 auf 1,99 EUR pro Liter). Weitere 12% der Steuersenkung (4,2 ct. pro Liter) wurden das Opfer höherer Ölpreise, welche seit Mitte Mai deutlich angezogen haben. Die restlichen 17 ct. pro Liter – oder 47% des Tankrabattes – sind damit in der ein oder anderen Form in die Taschen der Mineralölkonzerne gewandert.

Beim Diesel-Kraftstoff ist das Ergebnis noch erschreckender: Von den Steuersenkungen in Höhe von 16,7ct. pro Liter erreichen den Endverbraucher lediglich 19% (Preise sanken von 2,03 auf 2,00 EUR pro Liter). Der Ölpreis fraß auch hier 4,2 ct. der Steuersenkung auf, sodass am Ende sagenhafte 56% des Tankrabattes (9ct. pro Liter) bei den Mineralölkonzernen landen. Das ist – um es vorsichtig auszudrücken – sicherlich nicht im Sinne des Erfinders.

Vergleich der Preise zwischen dem 16.5. und 10.6.2022.
Quelle: Eigene Berechnungen; Daten vom ADAC, Bundesfinanzministerium, Statistisches Bundesamt.

Was können Regierung oder Kartellamt tun?

Angesichts des starken öffentlichen Drucks würde ich erwarten, dass die Mineralölkonzerne spätestens Anfang nächster Woche die Preise an den Tankstellen deutlicher senken. Das heisst weiterhin nicht, dass sie vorhaben, den gesamten Tankrabatt weiterzugeben und es bedeutet auch nicht, dass die Preise in den kommenden Wochen nicht wieder sukzessive erhöht werden. Ich sehe das stattdessen als einen reinen taktischen Move, um der berechtigten Empörung zu begegnen. Was können Politik und oder Bundeskartellamt tun, um die Mineralölkonzerne zur Weitergabe der Steuersenkung zu bewegen?

Das Bundeskartellamt hat in den vergangenen Tagen immer wieder betont, dass es keine Preisbehörde sei. Es ist also nicht seine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Steuersenkungen weitergegeben werden. Die Behörde achtet lediglich darauf, ob die wenigen Marktanbieter (der deutsche Mineralölmarkt wird von fünf großen Konzernen beherrscht) illegale Preisabsprachen treffen oder ihre marktbeherrschenden Stellungen zum Nachteil der Verbraucher oder kleinerer Konkurrenten ausnutzen. Und während es für Außenstehende sicherlich so aussehen mag, als ob derartige Verstöße immer wieder vorliegen, hat das Kartellamt trotz jahrelanger Beobachtungen bislang keine eindeutigen Belege dafür vorlegen können. Natürlich wollen es die Mineralölkonzerne auch gar nicht erst soweit kommen lassen, zumal solche Vergehen empfindliche Strafen nach sich ziehen können. Auch deshalb erwarte ich ein gewisses Einlenken bei den Preisen in den kommenden Tagen.

Auch die Bundesregierung kann die Mineralölkonzerne nicht zur Weitergabe des Tankrabattes zwingen. Statt dessen könnte das Parlament beschließen, das Programm vorzeitig zu beenden. Allerdings wäre das ein peinliches Eingeständnis des Scheiterns (und nach den Erfahrungen mit der MwSt-Senkung kommt es ja nicht völlig überraschend, dass die Senkung einer indirekten Steuer nicht gänzlich an den Konsumenten weitergegeben wird). Eine andere Drohoption ist die Einführung einer sogenannten Windfall Tax, also einer Sondersteuer auf zufällige Krisengewinner, wie sie auch bereits in Großbritannien verabschiedet wurde. Dort zahlen Energiefirmen für die kommenden zwölf Monate eine zusätzliche Steuer in Höhe von 25%. Für den Konsumenten könnte eine solche Steuer allerdings eine nachteilige Wirkung haben, da die Mineralölkonzerne versuchen dürften, die Last an die Verbraucher weiterzugeben – in dem Fall auch gerne zu 100%.

NDR-Bericht: „Volkswirt Bandholz: Spritpreis-Schwankungen sollen bewusst verwirren“

Am Freitag hatte ich die Gelegenheit, mit Sophia Stritzel vom NDR über die Entwicklung der Benzinpreise zu reden. Das gesamte Interview (mit Video) findet Ihr hier:

Volkswirt Bandholz: Spritpreis-Schwankungen sollen bewusst verwirren

Am Mittwoch ist der Tankrabatt der Bundesregierung in Kraft getreten und hat laut ADAC bereits am Vormittag erste Wirkung gezeigt. Doch am Donnerstag und Freitag sind die Preise an den Zapfsäulen wieder gestiegen. Wird die Steuersenkung tatsächlich komplett an die Autofahrer weitergegeben? Darüber hat NDR Schleswig-Holstein mit einem Volkswirt der Fachhochschule Kiel gesprochen.

Prof. Dr. Harm Bandholz ist seit 2019 Professor für Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftspolitik an der FH Kiel. Mehr als zehn Jahre war Bandholz als Volkswirt an der New Yorker Wallstreet tätig. Dort erlebte er unter anderem die Weltwirtschaftskrise von 2008 hautnah mit.

Herr Professor Bandholz, im Mai – vor dem Inkrafttreten des Tankrabatts – sind die Preise an den Zapfsäulen deutlich gestiegen. Das sorgt bei vielen für ein Gefühl der Abzocke. Was steckt dahinter?

Harm Bandholz: Ich denke, man kann davon ausgehen, dass die Mineralölkonzerne versuchen werden, nicht die gesamte Steuersenkung an den Endverbraucher weiterzugeben. Ein Mittel dafür sind tatsächlich häufige Preisänderungen, sodass der Verbraucher eigentlich gar nicht mehr weiß, was eigentlich aktuell der richtige Preis ist. Gleichzeitig muss man den Konzernen zugutehalten, dass im Mai, besonders in der zweiten Monatshälfte, der Rohölpreis nochmal deutlich gestiegen ist, sodass ein gewisser Anstieg der Benzinpreise an der Tankstelle durchaus gerechtfertigt war.

Es gibt fünf große Mineralölkonzerne am Markt. Da liegt die Vermutung nahe, dass die regulären Wirtschaftsprozesse ein wenig anders laufen?

Bandholz: Das ist sicher richtig. Dadurch, dass wir nur eine begrenzte Anzahl an großen Playern haben, ist der Wettbewerb nicht ganz so intensiv wie er an einem anderen Markt vielleicht wäre. Die Gefahr ist, dass die Firmen sich einig sind, um ihre eigenen Gewinne zu erhöhen. Vor diesem Hintergrund guckt auch das Bundeskartellamt seit vielen Jahren immer wieder auf die Preissetzung an den Tankstellen. Bisher hat das Bundeskartellamt aber keine illegalen Aktivitäten in dieser Hinsicht festgestellt.

Keine illegalen Aktivitäten, aber wie sehen denn die legalen Aktivitäten aus, um den Preis zu bestimmen?

Bandholz: Das, was die Mineralölkonzerne machen, ist, dass es einige Firmen gibt, die üblicherweise zuerst den Preis erhöhen oder reduzieren. Und die anderen Konzerne ziehen dann nach, nachdem sie diese Preisänderung beobachtet haben. Das ist völlig legitim. Das gibt es auch in anderen Märkten. Wenn sie sehen, dass der Wettbewerber seine Preise ändert, passen sie möglicherweise ihre Preise auch an. Das machen die Tankstellenbetreiber und die Mineralölkonzerne. Das ist per se nicht illegal.

Wie setzt sich denn konkret der Preis zusammen, den ich an der Zapfsäule bezahle?

Bandholz: Der Benzinpreis beinhaltet unter anderem den Rohölpreis. Da der Rohölpreis üblicherweise in Dollar denominiert ist, ist auch für uns noch der Euro-Dollar-Wechselkurs wichtig. Dann kommt hinzu: die Kosten der Raffinerien, also wie teuer es ist, aus dem Rohöl den Kraftstoff herzustellen. Dann haben wir natürlich noch den Staat: Energiesteuer, CO2-Abgabe- und Mehrwertsteuer. Und ganz am Ende ist da noch der Tankstellenpächter. Aber der hat keinen großen Einfluss auf die Kosten.

Wer profitiert denn konkret davon, wenn ich an der Tanksäule viel bezahle?

Bandholz: Aktuell ist es so, dass sowohl die Ölproduzenten massiv profitieren, weil der Ölpreis weltweit gestiegen ist. Und die Mineralölkonzerne profitieren im Moment vor allem, weil auch ihre Gewinnmarge in den Raffinerien, die ja häufig auch von den Mineralölkonzernen betrieben werden, deutlich angestiegen sind.

Ihre Prognose für die nächsten Wochen und Monate?

Bandholz: Erstmal ist die Hoffnung, dass in den nächsten paar Tagen vielleicht der Benzinpreis noch ein bisschen weiter sinkt, weil dann möglicherweise die gesamte Steuersenkung oder ein größerer Teil der Steuersenkung weitergegeben wird. Darüber hinaus hängt die Entwicklung maßgeblich davon ab, was in der Ukraine passiert. Denn das war der wesentliche Treiber für die Entwicklung der Rohölpreise. Wenn also der Krieg in der Ukraine so weitergeht, dann fürchte ich, wird sich nicht viel ändern an den Preisen. Wenn er hoffentlich früher zu Ende gehen sollte, dann dürfen wir sicherlich mit einer spürbaren Entlastung an den Tankstellen rechnen.

Noch eine Frage zum Schluss: Wo steht Deutschland im europäischen Vergleich, was die Preise anbelangt?

Bandholz: Im europäischen Vergleich muss man schon festhalten, dass in Deutschland die Benzinpreise überdurchschnittlich stark gestiegen sind. Das liegt aus meiner Sicht daran, dass wir auch überdurchschnittlich stark von Raffinerien in russischer Hand abhängig sind. Also wir leiden nicht nur unter den gestiegenen Rohölpreisen, denn das Problem haben ja alle Länder. Wir haben zusätzlich noch den Faktor, dass ein großer Teil unseres Kraftstoffs aus Raffinerien kommt, die entweder in Russland angesiedelt sind oder aus deutschen Raffinerien, die in russischer Hand sind.

Das Interview führte NDR Schleswig-Holstein Reporterin Sophia Stritzel.

„Wirtschaftsprofessor Harm Bandholz erklärt die Inflation: …“

Mein heutiges Interview mit Sebastian Leben vom Börsenradio Network:

Wirtschaftsprofessor Harm Bandholz erklärt die Inflation: Peak erreicht? Wie geht es weiter? Was kann die Notenbank tun?

Die Inflation schlägt voll durch: 8,1% in Europa, Rekord, in Deutschland auf 7,9% gestiegen, so hoch wie seit 1973/74 nicht mehr. Nur ist diese Inflation diesmal anders, denn sie kommt durch einen Angebotsschock und nicht durch zu starke Nachfrage. Der Staat versucht mit Entlastungsmaßnahmen wie 9-Euro-Ticket und Tankrabatt gegenzusteuern. Wirtschaftsprofessor Harm Bandholz: „Aus meiner Sicht kann die Fiskalpolitik, also die Regierung, eher und schneller helfen, als es die Geldpolitik kann. Wenn es vorübergehend also tatsächlich gelingt, die Preise an der Tankstelle zu senken, dann führt das schon dazu, dass die Inflationsrate temporär zumindest etwas runtergeht.“ Lässt sich eine Lohn-Preis-Spirale überhaupt noch verhindern? Bei der Inflation kommt gerade viel zusammen, was inflationär wirkt: der Ukrainekrieg („das erklärt den Hauptanstieg der Inflationsrate“), Chipmangel und Chinas Lockdowns, sowieso schon anziehende Energiepreise. Warum lagen die Prognostiker so falsch? Was kann die Notenbank da überhaupt tun und was würde es bedeuten, wenn durch Zinsanhebungen das Wirtschaftswachstum gebremst wird?

Supply chain issues, oil shocks and inflation

The Federal Reserve Bank of New York has just released an update of its „Global Supply Chain Pressure Index“ (GSCPI). The GSCPI is designed to capture global supply chain disruptions using a wide range of indicators. Accordingly, supply chain pressures worsened again in April (latest available data), after having eased throughout the first quarter of the year.

Source: Gianluca Benigno, Julian Di Giovanni, Jan Groen, and Adam Noble, “Global Supply Chain Pressure Index: May 2022 Update,”
Federal Reserve Bank of New York Liberty Street Economics, May 18, 2022

As the chart indicates, the worsening of global supply chain pressures in April was predominantly driven by the Chinese “delivery times” component, the increase in airfreight costs from the United States to Asia, and the euro area “delivery times” component, as other components have eased over the month. These developments could be associated with the stringent COVID-19-related lockdown measures adopted in China, as well as the consequences of the Ukraine-Russia conflict for supply chains in Europe.

Source: Gianluca Benigno, Julian Di Giovanni, Jan Groen, and Adam Noble, “Global Supply Chain Pressure Index: May 2022 Update,”
Federal Reserve Bank of New York Liberty Street Economics, May 18, 2022

In addition to this update, the NY Fed also published a corresponding working paper, „The GSCPI: A New Barometer of Global Supply Chain Pressures„, which not only explains the methodolgy behind the index but also provides some important estimates of the inflationary impact of the supply chain pressures as well as of the oil price shocks. The charts below summarize the contributions of these factors to producer price (PPI) as well as consumer price (CPI) inflation in the US and in Europe. To the best of my knowledge, this is one of the first attempts to disentangle the impacts of these various shocks that are currently hitting the global economy simultaneously.

Source: Gianluca Benigno, Julian Di Giovanni, Jan Groen, and Adam Noble, The GSCPI: A New Barometer of Global Supply Chain Pressures,
Federal Reserve Bank of New York Staff Reports, No. 1017, May 2022

USA: Der Markt erwartet zu viele Zinserhöhungen

Angesichts hoher Inflationsraten erwartet der Markt, dass die US-Notenbank ihren Leitzins bis zum Jahresende um weitere 200 Basispunkte erhöht. Das ist aus meiner Sicht zu viel. Zum einen beginnt die Wirtschaft bereits jetzt unter den strafferen Financial Conditions zu leiden und zum anderen gibt es wenngleich noch zaghafte Hoffnungsschimmer für eine nachlassende Inflationsdynamik.

1. Aggressive Zinserhöhungen eingepreist

Die globale Zinswende ist längs eingeläutet. Zahlreiche Zentralbanken haben in den vergangenen Monaten auf die verbesserte wirtschaftliche Lage und die gestiegenen Inflationsraten durch eine Straffung der Geldpolitik reagiert. Ein besonderer Fokus liegt dabei wie immer auf den Aktionen der US-Notenbank (Fed). Anders als die Europäische Zentralbank (EZB) hat die Fed ihren Leitzins in diesem Jahr bereits erhöht – zuletzt um 50 Basispunkte – und gleichzeitig angekündigt, ihre Bilanzsumme ab Anfang Juni zu reduzieren.

Angesichts der nach wie vor hohen Inflationsraten in den USA kann es keinen Zweifel daran geben, dass schon bald weitere Zinserhöhungen folgen werden. Die Frage ist nur, „wie viele?„. Nach Berechnungen der Chicago Mercantile Exchange (CME), an der u.a. die Fed Funds Futures Kontrakte gehandelt werden, erwartet der Markt derzeit, dass die Fed ihren Leitzins bis zum Jahresende von aktuell 0,75%-1,00% auf 2,75%-3,00% anheben wird (siehe Tabelle; in der Kopfzeile steht das erwartete Zinsniveau in Basispunkten).

Quelle: Chicago Mercantile Exchange (May 13, 2022)

Zusammen mit den bereits erfolgen Zinserhöhungen (25bp im April und 50bp im Mai) würde der Leitzins im laufenden Jahr damit um 275bp angehoben werden. Das allein wäre die kräftigste jährliche Straffung der US-Geldpolitik seit den späten 80er Jahren. Hinzu kommt noch das Auslaufen der Quantitativen Lockerung. Besonders aggressiv ist der eingepreiste Zinspfad für den Zeitraum April bis September, in dem die Zinsmärkte für vier aufeinanderfolgende Sitzungen (incl. der im Mai) jeweils 50bp-Schritte erwarten.

Ich denke, das ist zu viel! Nicht nur liegen diese Markterwartungen um etwa 100bp über der mittleren Projektion des Offenmarktausschusses (FOMC). So zeigt der sogenannte „Dot-Plot„, der die Leitzinserwartungen der FOMC-Mitglieder wiedergibt, für Ende 2022 einen Zinsniveau von 1,75%-2,00% (Median der einzelnen Prognosen). Noch wichtiger für meinen Ausblick sind ökonomische Gründe. Erstens hinterlassen die deutlich gestrafften Financial Conditions bereits Spuren in der Wirtschaft und zweitens gibt es unter der Oberfläche einige wenn auch noch zaghafte Entwicklungen, die auf ein Nachlassen der Inflationsdynamik hinweisen. Auch die Bondmärkte scheinen sich zuletzt in „meine“ Richtung bewegt zu haben.

2. Straffere Financial Conditions hinterlassen ihre Spuren

Der von der Federal Reserve Bank of Chicago veröffentlichte National Financial Conditions Index (NFCI) hat sich in den vergangenen Monaten deutlich verschlechtert. Besonders dramatisch war die Straffung des Finanzumfelds zwischen Januar und Mai diesen Jahres. Diese Entwicklung hat bereits zu einer Eintrübung der wirtschaftlichen Aktivität geführt. So ist der vielbeachtete ISM-Einkaufsmanagerindex für das Verarbeitende Gewerbe von über 60 auf rund 55 Punkte gefallen. Und basierend auf historischen Zusammenhängen spricht das aktuelle Niveau des NFCI dafür, dass der ISM in den kommenden Monaten noch weiter in Richtung der wichtigen 50-er Marke fällt (siehe Grafik). Andere Financial Conditions Indizes, wie z.B. von der St. Louis Fed oder von Goldman Sachs, bestätigen diese Entwicklung.

Quelle: eigene Berechnungen, Institut for Supply Management, Federal Reserve Bank of Chicago

Zusätzlich zu steigenden Zinsen (am kurzen und langen Ende), weiteren Spreads, fallenden Aktienkursen, einem immer stärker werdenden US-Dollar und höheren Energiepreisen sieht sich die US-Wirtschaft noch einem weiteren Gegenwind ausgesetzt. So wird nach Angaben des IWF das strukturelle Primärdefizit der USA (strukturell: konjunkturbereinigt; primär: ohne Zinsen) in diesem Jahr um 2,5% des BIP fallen. Das bedeutet eine erhebliche Straffung der Fiskalpolitik und eine spürbare Belastung der Wirtschaft (siehe Grafik).

Quelle: IMF Fiscal Monitor April 2022

Die Auswirkungen dieser Gegenwinde sieht man nicht nur im Verarbeitenden Gewerbe (s.o.) sondern auch bereits sehr deutlich am Immobilienmarkt, wo die Hausverkäufe zuletzt rückläufig waren. Auch das wichtige Konsumentenvertrauen ist angesichts des adversen Umfeldes förmlich eingebrochen. So fiel der Index der Universität Michigan zuletzt auf 59,1 Punkte – ein Wert, den man üblicherweise nur in Rezessionen beobachten kann (siehe Grafik; Rezessionen grau schattiert).

Quelle: U Michigan, NBER

3. Hoffnungsschimmer für nachlassenden Preisdruck

Die Inflationsrate in den USA ist zweifellos weiterhin viel zu hoch. Zudem gibt es aktuelle Entwicklungen, wie z.B. die erneuten Lockdowns in China, die das Potenzial haben, die Preissteigerungen für einen längeren Zeitraum hoch zu halten. Deshalb wird die US-Notenbank ihre Geldpolitik ja auch weiter normalisieren. Allerdings ist die Situation sehr dynamisch, sodass eine schlichte Fortschreibung der hohen Inflationsraten zu einfach und meines Erachtens nach falsch ist. Schließlich gibt es nicht nur Faktoren, die die Preise nach oben treiben, sondern auch Entwicklungen, die auf niedrigere Inflationsraten hindeuten – nur werden diese in der aktuellen Situation leicht übersehen.

Einer der wichtigsten Einflussfaktoren für die weitere Geldpolitik ist die Lohnentwicklung. Anders als in Europa, wo die Löhne bislang überhaupt nicht auf die höheren Inflationsraten reagiert haben, gab es in den USA zum Teil erhebliche Zuwächse. So stiegen die durchschnittlichen Stundenlöhne (average hourly earnings) in 2021 um knapp 7%. Seitdem hat sich die Dynamik aber spürbar verlangsamt und zwischen Januar und April lag der Zuwachs nur noch bei annualisierten 3,8% (siehe Grafik). Diese Entwicklung veranlasste sogar einen Jason Furman, der über Monate hinweg die Fed zu schnelleren Zinserhöhungen gedrängt hatte, zu der Vermutung, dass „Slowing US wage growth could ease inflation„. Gemeinsam mit den nach wie vor moderaten langfristigen Inflationserwartungen reduziert diese Entwicklung das Risiko für Zweitrundeneffekte und somit die Gefahr für anhaltend hohe Inflationsraten.

Zudem gibt es bereits einige Bereiche, in denen die Preise zuletzt gesunken oder zumindest nicht weiter angestiegen sind. Dazu zählen Gebrauchtwagen, Bekleidung oder verschiedene Rohstoffe von Metallen bis zur Energie. Entsprechend ist der von der Cleveland Fed berechnete Trimmed-mean CPI (schneidet jeweils die am stärksten gestiegenen und am stärksten gefallenen Komponenten ab) zuletzt deutlich langsamer angestiegen als noch vor ein paar Monaten (siehe Grafik).

Ein wichtiger Treiber für die hohe (Kern-)Inflationsrate waren zuletzt Wohnkosten, welche im Jahresverlauf um mehr als 5% zulegten. Und da diese Kategorie mit einem Gewicht von 32% in die Berechnung des Verbraucherpreisindex eingeht (und sogar einen Anteil von 41% an der Kernrate hat), trug diese Entwicklung 1,6 Prozentpunkte zur Inflationsrate bei. Da sich die steigenden Zinsen aber bereits spürbar auf die Immobiliennachfrage ausgewirkt haben, gehe ich davon aus, dass auch die Wohnkosten im Verbraucherpreisindex in der zweiten Jahreshälfte deutlich langsamer zulegen werden und so weiteren Druck von der Inflationsrate nehmen (siehe Grafik).

Quelle: National Association of Realtors, Bureau of Labor Statistics

4. Langsamere Zinsanhebungen zum Jahresende

In dem von mir skizzierten Szenario wird die Fed also zunächst ihre geldpolitische Normalisierung wie geplant (und eingepreist) fortsetzen. Insbesondere dürfte der nächste Zinsschritt noch einmal eine 50bp Erhöhung sein. Im Verlauf des zweiten Halbjahres aber, wenn die sowohl die konjunkturelle als auch die Inflationsdynamik nachlassen, dürfte sich das Tempo der Zinsanhebungen verlangsamen. Die Bondmärkte haben zuletzt bereits damit begonnen, die Wachstumssorgen stärker und die Inflationssorgen etwas weniger stark zu gewichten.

„Die Inflation ist knallhart da. Mehrere temporäre Schocks“ – neu im System: „Ukraine-Basiseffekte“

Mein Interview zum Thema Inflation, Geldpolitik und Geopolitik, das ich im Rahmen der XENIX ETF Days 2022 in Berlin mit Sebastian Leben vom Börsen Radio Network geführt habe.

Prof. Dr. Harm Bandholz: „Die Inflation ist knallhart da. Mehrere temporäre Schocks“ – neu im System: „Ukraine-Basiseffekte“

Die Inflation ist wohl gekommen, um zu bleiben. Das sieht so auch Prof. Dr. Harm Bandholz, Professor für Volkswirtschaftslehre an der FH Kiel im Rahmen der ETF Days 2022. „Ich bin aber eher transitory. Es sind mehrere temporäre Schocks. Deshalb sieht es so aus, als ob wir ein Dauerinflationsproblem haben.“ Zweitrundeneffekte betreffen auch die Löhne. Wir haben noch immer Corona, daraus resultierend Lieferkettenengpässe, sowie eine starke Anhebung der Nachfrage. Neu im System seien die „Ukraine-Basiseffekte“. Die Kaufkraft leidet, aber: „Die Inflationserwartung spielt hier eine wichtige Rolle. Und die ist relativ niedrig. Deswegen bin ich verhalten optimistisch.“ Die Zentralbanken sollten den geldpolitischen Stimulus maßvoll zurückfahren. Die Kaufkraftverluste werden in Europa nicht durch Lohnerhöhungen ausgeglichen, wie das in den USA derzeit der Fall ist. „Das muss man mit einem lachenden und einem weinenden Auge sehen: Zu starke Lohnanstiege sind nämlich Gift für den mittel- bis langfristigen Inflationsausblick.“ Die teuren Nahrungsmittelpreise sind für Deutschland lediglich ein Problem, für viele Länder im Nahen Osten und in Afrika allerdings eine existenzielle Bedrohung. Mögliche Folge: Neue Unruhen.

Der digitale Euro wird kommen

Vor zwanzig Jahren, am 1. Januar 2002, wurde der Euro in zwölf europäischen Staaten als offizielles Zahlungsmittel eingeführt. Pünktlich zum Jubiläum plant die Europäische Zentralbank (EZB) eine Neugestaltung der Euro-Banknoten, welche 2024 abgeschlossen sein soll. Die größte Neuerung der kommenden Jahre wird allerdings nicht das Design der Geldscheine sein, sondern die Einführung eines digitalen Euros. In diesem Blog erläutere ich, weshalb die Einführung von digitalem Zentralbankgeld zwar nur ein kleiner Schritt für den Verbraucher ist, aber ein großer Sprung für die Notenbanken. Dazu gebe ich einen Überblick über die jüngsten Trends in der globalen Entwicklung von digitalem Zentralbankgeld, nenne die wesentlichen Gründe für eine Einführung, diskutiere die Risiken und stelle eine mögliche Lösung vor.

1. Was ist digitales Zentralbankgeld?

Wie der Name schon sagt, handelt es sich bei digitalem Zentralbankgeld, oder Central Bank Digital Currency (CBDC), um eine digitale Banknote, mit der Verbraucher oder Unternehmen bezahlen können (BIS 2020). Für die Nutzer besteht zunächst kein merklicher Unterschied zu den bereits bestehenden bargeldlosen Zahlungsmöglichkeiten. Denn auch bei Überweisungen oder Zahlungen mit Kreditkarte oder App wird ja elektronisches Geld hin- und hergeschoben. Aus Sicht der Geldpolitik und Finanzstabilität gibt es allerdings einen großen Unterschied zwischen den Einlagen auf Girokonten oder Sparbüchern (Giral- oder Buchgeld) und digitalem Zentralbankgeld. Denn während das Giralgeld eine Verbindlichkeit der jeweiligen Geschäftsbank darstellt, ist CBDC eine direkte Verbindlichkeit der Zentralbank. „Genau wie Bargeld wäre ein digitaler Euro Zentralbankgeld und daher mit keinerlei Risiken verbunden – es gäbe kein Liquiditätsrisiko, kein Kreditrisiko, kein Marktrisiko“ (Panetta 2021). Giralgeld dagegen hat nur deshalb einen Wert und ist nur deshalb als allgemeines Zahlungsmittel akzeptiert, weil es jederzeit in Zentralbankgeld umgewandelt werden kann (siehe z.B. Panetta 2021). Mit digitalem Zentralbankgeld würde jetzt ein zweiter Anker für das Finanzsystem geschaffen werden, der in den kommenden Jahren und Jahrzehnten mit der fallenden Nachfrage nach Bargeld (siehe Abschnitt 3.1.) spürbar an Bedeutung gewinnen wird.

Quelle: Deutsche Bundesbank (2021), Digitales Geld: Optionen für den Zahlungsverkehr, Monatsbericht April.

Aktuell mag sich die Einführung von digitalem Zentralbankgeld noch unnötig oder befremdlich anhören. Allerdings darf man nicht vergessen, dass sich die Zahlungsmittel in der Geschichte der Menschheit kontinuierlich geändert haben: Von Warengeld, wie Salz oder Vieh, über die ersten Münzen im 7. Jahrhundert vor Christus bis zur Erfindung des Papiergeldes in China im 11. Jahrhundert (siehe Würmelig 2021). Digitales Zentralbankgeld wäre lediglich der nächste Eintrag auf dieser Liste.

2. Mehr als 80% der Zentralbanken arbeiten an digitalem Geld

Die Idee für digitales Zentralbankgeld ist nicht neu. Bereits 1987 schlug kein geringerer als Nobelpreisträger James Tobin die Einführung einer „deposited currency“ vor: „I think the government should make available to the public a medium with the convenience of deposits and the safety of currency, essentially currency on deposit, transferable in any amount by check or other order.“ Allerdings wurde die Idee damals nicht aufgegriffen und geriet für einige Jahrzehnte in Vergessenheit. Das änderte sich erst wieder mit der zunehmenden Beliebtheit von Kryptowährungen wie Bitcoin.

Ab 2015 begannen Zentralbanken also erneut, sich mit CBDCs zu beschäftigen – und diesmal ernsthaft. Frühe interne Studien gab es zu der Zeit in Uruguay (e-peso), den Niederlanden (Dukaton), England, Singapur und Kanada (siehe Auer und Böhme (2020) sowie CBDC Tracker). 2017 war es dann die schwedische Riksbank, die mit ihrem e-krona Projekt die ersten offiziellen Arbeiten an digitalem Zentralbankgeld begann.

Nach und nach kamen weitere Zentralbanken hinzu. Laut einer aktuellen Umfrage der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIS) arbeiteten in 2020 nicht weniger als 86% der globalen Zentralbanken in der ein oder anderen Form an einem CBDC-Projekt (siehe Boar und Wehrli 2021). Dieser Anteil liegt um ein Drittel höher als noch in 2017. Zudem weisen die Autoren darauf hin, dass die Zentralbanken, die sich aktuell nicht mit CBDCs beschäftigen, eher aus kleineren Ländern kommen.

Quelle: Boar und Wehrli (2021), Ready, steady, go? – Results of the third BIS survey on central bank digital currency, BIS Papers No 114.

Die folgende Grafik gibt eine gute Übersicht über die Entwicklung und den aktuellen Stand der zurzeit wichtigsten CBDC-Aktivitäten globaler Zentralbanken (Stand Juni 2021). Deutlich in orange zu erkennen ist der Sand Dollar, den die Zentralbank der Bahamas im Oktober 2020 als weltweit erste CBDC eingeführt hat. Aktuellere Entwicklungen findet man darüber hinaus jederzeit im CBDC Tracker.

Quelle: Auer und Böhme (2021), Central bank digital currency: the quest for minimally invasive technology, BIS Working Papers No 948.

In Europa wurde im Oktober 2020 der Bericht über einen digitalen Euro veröffentlich und im Juni 2021 die Untersuchungsphase eines Projekts zum digitalen Euro eingeläutet. Gegenstand dieser zweijährigen Untersuchung werden wichtige Aspekte im Hinblick auf die Gestaltung und Verteilung sein. Ein weiterer Fokus ist die funktionale Ausgestaltung einer digitalen Währung sowie die Frage, ob die Einführung eines digitalen Euros eine Änderungen des Rechtsrahmens erfordern würde. Die EZB betont gleichzeitig, dass diese Untersuchungsphase einer künftigen Entscheidung, ob ein digitaler Euro eingeführt wird, in keiner Weise vorgreift und dass diese Entscheidung erst zu einem späteren Zeitpunkt getroffen werde. Ich bin mir allerdings sicher: der digitale Euro kommt! In gut fünf Jahren wird uns neben Bargeld auch digitales Zentrankbankgeld zur Verfügung stehen.

3. Sinkende Bargeldnutzung als wesentlicher Treiber

Es gibt eine Vielzahl an Gründen dafür, weshalb sich Zentralbanken mit der Einführung von CBDCs beschäftigen. Für die EZB erklärte Präsidentin Lagarde im Rahmen des digitalen Euro Projektes: „Unsere Arbeit soll sicherstellen, dass Menschen und Unternehmen im digitalen Zeitalter weiterhin Zugang zur sichersten Form von Geld haben: Zentralbankgeld.“ Daraus lassen sich die aus meiner Sicht wichtigsten Gründe für CBDCs ableiten: (1) Die rückläufige Nutzung von Bargeld im Zeitalter der Digitalisierung und (2) die wachsende Beliebtheit von Cryptos und anderen privaten digitalen Alternativen. Darüber hinaus gibt es weitere Motive, die je nach Jurisdiktion variieren. Eine Übersicht dazu findet sich z.B. bei Boar und Wehrli (2021).

3.1. Bargeld immer weniger gefragt

Die sinkende Bargeldnutzung wurde bereits von der schwedischen Riksbank 2017 als Hauptgrund für das e-krona Projekt angeführt. Demnach war in dem skandinavischen Land der Anteil an Barzahlungen im Einzelhandel von knapp 40% in 2010 auf etwa 15% in 2016 gefallen. Zudem gaben zwei Drittel der Verbraucher an, dass sie sehr gut ohne Bargeld auskommen können. Kurzum, die Riksbank sah das Risiko, dass „in the not-too-distant future, Sweden may become a society in which cash is no longer generally accepted.“ Neben dem fehlenden geldpolitischen Anker könnten sich aus einer bargeldlosen Gesellschaft eine Vielzahl weiterer potenzieller Risiken für den Finanzmarkt ergeben (siehe Riksbank). Dazu zählt auch, dass Wirtschaftssubjekte keinen Zugang mehr zu risikolosen Vermögens- bzw. Zahlungsmitteln haben.

So extrem wie in Schweden ist die Situation in den meisten anderen Ländern derzeit freilich noch nicht. Aber der Trend geht in die gleiche Richtung. Denn überall auf der Welt nimmt der Anteil an Barzahlungen ab (siehe linke Grafik). Auch die SPACE (Study on the payment attitudes of consumers in the euro area) Studie der EZB (2020) bestätigt, dass der Anteil der Bargeld-Transaktionen zwischen 2016 und 2019 in den meisten Ländern der Währungsunion spürbar gesunken ist.

Quelle: BIS (2021), CBDCs: an opportunity for the monetary system, Annual Economic Report, Chapter III.

Die Corona-Pandemie hat den Trend zum bargeldlosen Zahlen zusätzlich verschärft. So gaben im Rahmen einer Online-Befragung im Auftrag der Bundesbank im Zeitraum vom 14. bis zum 21. April 2020 knapp 43% der Befragten an, ihr Zahlungsverhalten bei Einkäufen in Ladengeschäften verändert zu haben. Von diesen 43% nutzten 87% seltener Bargeld als zuvor und 68% bezahlten häufiger kontaktlos mit der Karte. Ein ähnliches Bild ergibt sich auf europäischer Ebene. Laut EZB gaben jeweils 40% der befragten Europäer an, dass sie häufiger kontaktlos bezahlten und weniger Bargeld verwendeten als vor der Pandemie. Aus derselben Umfrage geht hervor, dass lediglich 13% der Verbraucher davon ausgehen, nach dem Ende der Pandemie wieder zu ihrem Zahlungsverhalten von vor der Krise zurückzukehren. Der Rest wird also auch dauerhaft weniger Bargeld verwenden.

Quelle: ECB (2020), Study on the payment attitudes of consumers in the euro area (SPACE), December.

Mit Frankreich, Belgien, Finnland oder den Niederlanden gibt es im Euroraum bereits einige wichtige Mitgliedsländer, in denen der Anteil der Bargeld-Transaktionen ähnlich niedrig ist, wie in Schweden zu Beginn des e-krona Projektes. Die Geldpolitik tut also gut daran, sich rechtzeitig auf ein Umfeld ohne Bargeld vorzubereiten – auch wenn wir das in Deutschland oder Österreich angesichts der überdurchschnittlich hohen Bargeldnutzung derzeit vielleicht noch nicht nachvollziehen können. Damit sollte auch klar sein, dass das Narrativ, wonach die Zentralbanken uns das Bargeld wegnehmen wollen, völliger Unsinn ist. Stattdessen sind die Gedanken über CBDCs lediglich eine Reaktion der Zentralbanken auf das sich ändernde Zahlungsverhalten der Verbraucher.

Quelle: ECB (2020), Study on the payment attitudes of consumers in the euro area (SPACE), December.

3.2. Bitcoin ist nicht die Antwort …

Bitcoin is not the answer to a cashless society“ lautete der Titel eines Op-Ed Artikels, den das ehemalige EZB-Direktoriumsmitglied und der aktuelle Leiter des BIS Innovation Hub, Benoît Cœuré, gemeinsam mit seiner Kollegin Jacqueline Loh im März 2018 veröffentlichte. Er ist ausgesprochen aussagekräftig, da er meiner Meinung nach eine der größten Sorgen der Zentralbanken widerspiegelt, nämlich die Gefahr, dass Cryptos oder andere private Alternativen eines Tages den bargeldlosen Zahlungsmarkt dominieren – wenn die Zentralbanken nicht rechtzeitig handeln.

Vorab ein kurzer Exkurs: Geld erfüllt drei Funktionen. Es dient als (i) Tauschmittel, (ii) Recheneinheit und (iii) als Wertaufbewahrungsmittel. Bitcoin erfüllt aktuell keine dieser Funktionen: Man kann so gut wie nirgends mit Bitcoin zahlen (i), kaum jemand gibt den Preis einer Waschmaschine oder einer Scheibe Brot in Bitcoin an (ii) und für ein Wertaufbewahrungsmittel sind Bitcoin viel zu volatil (auch wenn die Rendite in den vergangenen Jahren natürlich phänomenal war). Aber Geld ist Bitcoin damit also nicht. Die BIS geht in ihrem Jahresbericht noch weiter und verweist mit ungewöhnlich deutlichen Worten auf die Verwendung der Cryptos in illegalen Aktivitäten: „By now, it is clear that cryptocurrencies are speculative assets rather than money, and in many cases are used to facilitate money laundering, ransomware attacks and other financial crimes.

Neben Cryptos und Stablecoins haben sich zuletzt auch große Technologie-Firmen in den Finanzmärkten breitgemacht. Nach Angaben der BIS vereinen in China lediglich zwei Firmen (ich tippe auf Alipay) 94% des mobilen Zahlungsmarktes auf sich. Eine solche Konzentration birgt erhebliche Risiken für den Verbraucher. Zudem stellt sich die Frage, wie die Anbieter mit der Masse an nebenbei gewonnen Daten umgehen und wie sie diese nutzen. Auch EZB-Direktoriumsmitglied Panetta warnte: „Wir müssen verhindern, dass der europäische Zahlungsverkehr von Anbietern außerhalb Europas beherrscht wird, etwa von globalen Technologiegiganten, die in Zukunft Kunstwährungen anbieten. Das könnte nicht nur die Stabilität des Finanzsystems gefährden, auch Privatpersonen und der Handel wären ein paar wenigen marktbeherrschenden Anbietern ausgesetzt.“

Für die Zentralbanken selber steht nicht weniger auf dem Spiel als der Kontrollverlust über die heimische Währung. Denn wenn die Mehrheit der Transaktionen eines Tages mit privaten „Währungen“ von privaten Anbietern durchgeführt wird, hat die Zentralbank keine Kontrolle mehr über Geldmenge oder Zinsen. Dem Finanzmarkt würde damit der risikolose Anker fehlen. Denn digitales Geld (genau wie Geldscheine) hat nur solange einen Wert, wie wir dem Emittenten vertrauen. Und während das Vertrauen gegenüber Zentralbanken sehr hoch ist (zumindest das Vertrauen, dass sie ihren Verbindlichkeiten nachkommen), kann man das über die meisten privaten Anbieter wohl nicht mit derselben Überzeugung sagen.

Die Zentralbanken müssen also reagieren und den Verbrauchern und Unternehmen ihr eigenes digitales Geld zur Verfügung stellen. Andernfalls droht die Gefahr, dass private Anbieter den digitalen Zahlungsmarkt irgendwann unter sich aufteilen. Daran, dass es eine steigende Nachfrage nach bargeldlosen bzw. digitalen Zahlungsformen gibt, kann es schließlich keinen Zweifel geben. Und auch wenn diese Gefahr aktuell noch überzogen erscheint, ist es richtig, dass die Projekte begonnen haben. Denn, wie Cœuré im September noch einmal richtig anmerkte: „CBDCs will take years to be rolled out, while stablecoins and cryptoassets are already here. This makes it even more urgent to start.

4. Risiken für die Geschäftsbanken

Ein Grund, weshalb der Einführung von digitalem Zentralbankgeld eine längere Planungsphase vorausgeht, ist der potenziell negative Einfluss auf die Geschäftsbanken (hinzu kommen natürlich rechtliche und technische Fragen der Umsetzung, auf die ich hier aber nicht eingehen werde). Zwei Gefahren stehen dabei im Vordergrund (siehe BIS):

  1. Private Haushalte könnten ihre Einlagen (Bargeld) von den Geschäftsbanken abziehen und in digitales Zentralbankgeld umwandeln, welches auf einem Konto bei der Zentralbank liegt. Als Folge müssten sich die Geschäftsbanken alternative und häufig teurere und weniger stabile Formen der Refinanzierung suchen.
  2. In Zeiten von Finanzmarktkrisen oder Rezessionen könnten sich daraus regelrechte „Bank-Runs“ entwickeln, da die Sparer ihr Geld lieber in sicherem Zentralbankgeld (digital oder bar) halten als in Form von Buchgeld, welches ja eine Verbindlichkeit der jeweiligen Geschäftsbank darstellt und damit riskanter ist. Mit dem Einlagensicherungsfonds versucht die Politik der bereits jetzt bestehenden Gefahr von Bank-Runs entgegenzuwirken – und das meist mit Erfolg. Allerdings werden sich einige an den 5. Oktober 2008 erinnern, als Kanzlerin Merkel und Finanzminister Steinbrück den Sparern – trotz Sicherungsfonds – zusichern mussten, dass ihre Einlagen sicher sind … Wenn es nun mit CBDCs die einfache Möglichkeit gibt, die Spareinlagen in eine andere – aber sicherere – Form digitalen Geldes zu überführen (anstatt es in Form von Bargeld unter der Matratze zu verstecken), dürfte diese Gefahr umso größer und realer sein.

Sofern man diesem Risiko bei der Ausgestaltung der CBDCs nicht entgegenwirkt, könnte das gravierende Auswirkungen auf die Geschäftsbanken haben. Denn in Deutschland machen täglich fällige Einlagen nicht weniger als 36% der Verbindlichkeiten des Bankensektors aus; zählt man Einlagen mit vereinbarter Laufzeit bzw. Kündigungsfrist hinzu, sind es sogar 53%. In der Eurozone insgesamt liegen diese Werte mit 29% bzw. 45% zwar etwas niedriger, aber auch dort spielen Einlagen die entscheidende Rolle für das Funding der Geschäftsbanken. Würde diese Quelle wegbrechen, indem Sparer ihre Guthaben in digitales Zentralbankgeld umschichten, hätte das zwangsläufig erhebliche Folgen für unsere Bankenlandschaft und den Finanzmarkt. Für Verbraucher und Unternehmen bedeutete das eine geringere Verfügbarkeit von und höhere Kosten für Kredite. Darüber hinaus würden zahlreiche Geschäftsbanken pleite gehen. Um die Vorteile aus der bestehenden Aufgabenteilung zwischen Geschäftsbanken und Zentralbanken nicht zu gefährden, rät die Bundesbank (2021) deshalb auch dazu, die Kreditwirtschaft von Beginn an in die Diskussion rund um die Ausgestaltung eines Digitalen Euro einzubeziehen. Denn der Bedeutungsverlust von Banken als Intermediäre im Finanzsystem ist ein Szenario, das die Geldpolitik in jedem Fall verhindern muss und verhindern möchte.

Quelle: Deutsche Bundesbank (2021), Bankstatistische Gesamtrechnungen, Monatsbericht Dezember.

5. Digitales Zentralbankgeld nur als Zahlungsmittel

Eine Lösung dieses Problems kristallisiert sich bereits heraus. Sie soll im Wesentlichen so aussehen, dass das digitale Zentralbankgeld vor allem als Zahlungsmittel dient und nicht als Wertaufbewahrungsmittel. Damit würde sich CBDC am Bargeld orientieren, denn auch letzteres wird hauptsächlich zu Zahlungszwecken gehalten (siehe Auer und Böhme 2021). Wenn das gelingt, würde auch das Risiko für die Geschäftsbanken reduziert, zumal die Verbraucher kaum Geld von ihren Konten abheben, sondern vor allem ihr Bargeld durch CBDCs ersetzen. Aber wie könnte dieses Ziel, wonach CBDCs lediglich Zahlungs- und keine Wertaufbewahrungsmittel sind, erreicht werden?

Eine Möglichkeit bestünde darin, auf digitales Zentralbankgeld niedrigere Zinsen zu zahlen als auf Einlagen bei Geschäftsbanken (siehe Bindseil 2020); im aktuellen Umfeld beinhaltete dies auch negative Zinsen. Dadurch hätten die Sparer keinen Anreiz, unnötig große Beträge in CBDC umzuwandeln und die Einlagen bei den Geschäftsbanken blieben hoch. Im Falle von Finanzmarktkrisen könnte allerdings die Strafe inform der niedrigeren Zinsen nicht groß genug sein um Sparer davon abzuhalten, ihre Einlagen von den Geschäftsbanken abzuziehen und bei der Zentralbank in Sicherheit zu bringen. Auch aus diesem Grund scheint die präferierte Lösung zu sein, dass jede Person digitales Zentralbankgeld nur bis zu einer bestimmten Höhe halten darf. Im Gespräch ist derzeit eine Obergrenze von 3.000 EUR pro Person (siehe z.B. Auer und Böhme (2021) oder Bundesbank (2021)).

Wenn alle 83 Mio. Deutschen 3.000 EUR als CBDC halten würden, ergäbe das eine Summe von knapp 250 Mrd. EUR. Das wiederum entspräche 9,3% der täglich fälligen Einlagen bei Banken oder 3,3% der konsolidierten Bilanzsumme. In Wirklichkeit wäre der Betrag aber sicherlich kleiner. Erstens, halten die Haushalte aktuell ja auch jetzt schon Bargeld, sodass nicht die kompletten 3.000 EUR von Bankkonten kommen. Zweitens wird es nicht 83 Mio. CBDC-Konten geben, da die Bevölkerungszahl unter anderem rund 10 Mio. Kinder, die jünger als 13 Jahre sind, enthält. Und drittens verfügen viele Haushalte gar nicht über 3.000 EUR, die sie ständig in Form von digitalem Zentralbankgeld halten können! So haben nach Angaben der Bundesbank (2019) 80% der Haushalte in Deutschland (Haushalte insgesamt, nicht einzelne Personen!) weniger als 2.300 EUR auf ihren Girokonten …

Quelle: Deutsche Bundesbank (2019), Vermögen und Finanzen privater Haushalte in Deutschland: Ergebnisse der Vermögensbefragung 2017, Monatsbericht April.

Mithilfe einer Obergrenze (die letztendlich auch geringer ausfallen kann als 3.000 EUR) sollte es also gelingen, den potenziell negativen Einfluss von digitalem Zentralbankgeld auf das Refinanzierungsmodell der Geschäftsbanken in Grenzen zu halten. Ganz reibungslos wird es für die Banken zwar auch so nicht verlaufen, aber die Alternative (= Tatenlosigkeit der Zentralbanken) wäre aller Wahrscheinlichkeit nach schlimmer: „Banks are worried about the implications of CBDCs for customer deposits. Central banks are mindful of these concerns and are working on answers. They see banks as part of future CBDC systems. But make no mistake: global stablecoins, DeFi platforms and big tech firms will challenge banks‘ models regardless. “ (Cœuré).

Fazit: Ein kleiner Schritt für den Verbraucher, aber ein großer Sprung für die Zentralbanken

Dem digitalen Zentralbankgeld gehört die Zukunft. Weltweit arbeiten Notenbanken fieberhaft daran, in absehbarer Zeit diesen nächsten Schritt zu gehen. Der Sinn und Nutzen von CBDCs ergibt sich freilich erst, wenn man erkennt, dass dieses neue Geld sowohl eine Investition in die Zukunft als auch eine Absicherung der Zentralbanken gegen bestimmte Risikoszenarien darstellt. Mit den Worten von Panetta: „Dass manche Skeptiker den Nutzen eines digitalen Euro aktuell nicht erkennen, ist nicht verwunderlich. Die Aufgabe öffentlicher Institutionen ist es aber, sich mit den Herausforderungen der Zukunft zu befassen und sich frühzeitig darauf vorzubereiten.

Dank der laufenden Pilot-Projekte verschiedener Zentralbanken können die Wirtschaftssubjekte und Finanzmarktteilnehmer einer Zukunft, in der Bargeld nur noch ein Randdassein fristet, entspannter entgegensehen. Anstatt die Anstrengungen der Zentralbanken als unnötig zu kritisieren sollten wir alle dankbar sein, dass sie sich so rechtzeitig auf diesen Fall vorbereiten; denn üblicherweise mahlen die Mühlen der Bürokratie ja deutlich langsamer. Dass es diesmal anders ist, haben wir zweifellos der sprunghaft gestiegenen Beliebtheit von Bitcoin und Co. zu verdanken. Dann erst dadurch wurde vielen Entscheidungsträgern die Augen geöffnet. Konkurrenz belebt eben das Geschäft.

Während die Entwicklung von CBDCs also eine wichtige Innovation für die Zentralbanken darstellt, dürften die Verbraucher kaum Veränderungen bemerken. Möglicherweise ist der einzig nötige Schritt die Eröffnung eines zusätzlichen Kontos oder Wallets, auf dem das digitale Zentralbankgeld „gelagert“ wird (token-based CBDCs kommen aus meiner Sicht nicht infrage, da man mit ihnen weder die Obergrenzen von 3.000 EUR durchsetzen noch illegale Aktivitäten aufdecken kann). Dieses Konto ist entweder bei der Geschäftsbank (Intermediate CBDC) oder direkt bei der Zentralbank (Hybrid CBDC) angesiedelt. Doch das bekommen die Verbraucher gar nicht mit, zumal sämtliche kundennahen Dienstleistungen weiterhin über die Geschäftsbanken oder andere Private Service Providers (PSP) abgewickelt werden. Die Einführung von digitalem Zentralbankgeld ist damit zwar nur ein kleiner Schritt für den Verbraucher, aber ein großer Sprung für die Zentralbanken.

Quelle: Auer et al. (2021), Central bank digital currencies: motives, economic implications and the research frontier, BIS Working Papers, No 976.

Mehr Boost beim Boostern

Die Impfdebatte läuft aktuell auf vollen Touren. Geführt wird sie auf zwei unterschiedlichen Ebenen. Zum Einen geht es darum, wie man Impfunwillige umstimmt. Dieses Thema hatte ich in meinem vorherigen Beitrag „Die Ökonomie des (Nicht-)Impfens“ behandelt. Zum Anderen geht es darum, den Impfschutz bereits geimpfter Personen durch einen Booster aufzufrischen. Nach der aktuellen Empfehlung der STIKO soll die Auffrischimpfung „in der Regel im Abstand von 6 Monaten zur letzten Impfstoffdosis der Grundimmunisierung erfolgen.“ Zudem soll folgenden Personengruppen prioritär eine Auffrischimpfung angeboten werden: Personen mit Immundefizienz, Personen im Alter von ≥ 70 Jahren, BewohnerInnen und Betreute in Einrichtungen der Pflege für alte Menschen sowie Personal in medizinischen und pflegerischen Einrichtungen.

Entsprechend hat z.B. das Gesundheitsministerium von Schleswig-Holstein festgelegt: „Bei einer Auffrischimpfung muss der Abstand vom gebuchten Termin zur Grundimmunisierung mindestens 6 Monate betragen.“ Auch in der Gesellschaft hat sich mittlerweile der Abstand von sechs Monaten zwischen Zweitimpfung und Booster als Faustregel in den Köpfen verankert. Das Problem: Der Abstand von sechs Monaten könnte zu groß sein!

Das ist zumindest das Ergebnis einer aktuellen Studie aus Israel, die in dieser Woche im British Medical Journal veröffentlicht wurde (Israel, A. et al (2021), Elapsed time since BNT162b2 vaccine and risk of SARS-CoV-2 infection: test negative design study, BMJ 2021;375:e067873). Die Untersuchung basiert auf der Auswertung von mehr als 83.000 Personen, die allesamt mit Pfizer-BioNTech geimpft wurden.

Danach lässt sich bereits im Verlauf des 5. und 6. Monats nach Erhalt der zweiten Impfung ein deutlicher Anstieg positiver Testergebnisse bei geimpften Personen (Impfdurchbrüche) feststellen:

  • In den ersten drei Monaten (21-89 Tage) nach Erhalt der zweiten Impfung waren lediglich 1,3% der Tests positiv.
  • Im Verlauf des fünften Monats nach Erhalt der zweiten Impfung (120-149 Tage) steigt dieser Anteil auf 4,6% an; damit ist die Gefahr eines Impfdurchbruchs bereits zu diesem Zeitraum mehr als dreimal so hoch, wie direkt nach der zweiten Impfung.
  • Im Verlauf des sechsten Monats (150-179 Tage) springt der Anteil positiver Test sogar auf 10,3%, …
  • … und wenn die Auffrischimpfung – wie aktuell in Deutschland praktiziert – erst nach mehr als sechs Monaten erfolgt, liegt die Wahrscheinlichkeit für einen Impfdurchbruch bereits bei 15,5% (und darüber, je nachdem um wieviel man die sechs Monate überschritten hat).
Quelle: Israel, A. et al (2021)

Diese Beobachtung deckt sich mit der vom RKI gemeldeten sinkenden Impfeffektivität in den vergangenen Wochen. Immerhin scheint der Schutz gegenüber schlimmeren Verläufen der Krankheit länger anzuhalten als der Schutz gegenüber einer Ansteckung. Trotzdem steigt ja für alle Personen – auch vollständig Geimpfte – die Gefährdung für die Gesundheit mit zunehmenden Infektionszahlen an. Von daher braucht es mehr Boost beim Boostern in Form von ausreichenden Impfplätzen, ausreichendem Impfstoff und einer Herabsetzung der Frist für die Auffrischimpfung auf weniger als 6 Monate. Nachfrage nach Boostern gibt es ja genug.

Die Ökonomie des (Nicht-)Impfens: Externe Effekte müssen internalisiert werden

Die Covid-Situation hat sich in den vergangenen Wochen dramatisch verschlechtert. Anhand von Zahlen und ökonomischen Überlegungen argumentiere ich, dass das Nichtimpfen nur unter sehr restriktiven Bedingungen eine individuelle Entscheidung ist. Entsprechend bedarf es einer gewissen staatlichen Einflussnahme, um die Impfquote zu erhöhen.

1. Impfen hilft

Für die Mehrheit der Bevölkerung steht ja mittlerweile außer Frage, dass das Impfen einen wirkungsvollen Schutz gegen eine Erkrankung mit Covid-19 und insbesondere gegen einen schlimmeren Verlauf der Krankheit darstellt. Aber da der Blog ja möglicherweise auch von bislang noch skeptischen Personen gelesen wird, und ich gerne meinen kleinen Teil dazu beitragen möchte die Impfquote zu erhöhen, hier ein paar Fakten:

Laut Robert Koch Institut (RKI) lag die geschätzte Impfeffektivität (also der Schutz gegen eine Ansteckung mit Covid) zwischen Februar und November für die Altersgruppe 18-59 Jahre bei 82% und für die Altersgruppe 60+ Jahre bei 80%. Wenn man nur die vergangenen vier Wochen betrachtet, hat sich die Impfeffektivität etwas verringert; sie lag zuletzt bei 72% für beide Altersgruppen, was wohl am allmählich auslaufenden Impfschutz liegt. Noch wichtiger als der Schutz gegen eine Ansteckung ist aber ohnehin die Vermeidung eines schlimmen Verlaufs. Und hier leisten die Impfungen einen erheblichen Beitrag. Im Mittel bieten sie einen mehr als 90%-igen Schutz vor einer Behandlung auf der Intensivstation oder gar dem dem Tod (Details siehe Grafik).

Quelle: Robert Koch Institut (Wochenbericht vom 11.11.2021); Angaben beziehen sich auf den Zeitraum 41.-44. KW.

Auch der folgende Chart zeigt die Effektivität der Impfungen gegen schwere Verläufe der Krankheit (hier: Tod). Denn seit Beginn der Impfkampagne im Frühjahr diesen Jahres hat sich die Zahl der Todesfälle (schwarze Linie) deutlich von der Anzahl der gemeldeten Fälle (Cases – blaue Fläche) abgekoppelt. Wenn der Zusammenhang zwischen gemeldeten Fällen und Todesfällen, der zwischen 2020 und Anfang 2021 (also vor Beginn der Impfungen) galt, heute weiterhin bestünde, würden es bei den aktuellen Inzidenzen in Deutschland eher 9.500 Covid-Tote pro Woche geben anstatt der gemeldeten 1.150. Selbstverständlich gibt es Impfdurchbrüche und auch Impfdurchbrüche mit Todesfolge. Aber von den 1.393 bekannten Fällen waren nach Angaben des RKI 995 (also 71%) älter als 80 Jahre. Das spiegelt dann wohl eher das generell höhere Sterberisiko für diese Altersgruppe wider und weniger die Wirksamkeit der Impfstoffe.

Quelle: World Health Organization

2. Die Impfquote ist zu niedrig

Im Zusammenhang mit der Impfung der Bevölkerung wird häufig von „Herdenimmunität“ gesprochen. Diese Herdenimmunität (auch: Gemeinschaftsschutz) ist dann erreicht, wenn so viele Menschen geimpft sind, dass sich eine Krankheit nicht weiter ausbreitet. Nach einer im Juli veröffentlichten Schätzung hält das RKI“eine Zielimpfquote (Impfschutz durch vollständige Impfung) von 85 % für die 12–59-Jährigen sowie von 90% für Personen ab dem Alter von 60 Jahren für notwendig und auch erreichbar.

Doch davon sind wir aktuell noch ein ganzes Stück entfernt. Das gilt insbesondere für die Impfquoten für Schüler (12-17 Jahre) – hier hat die Impfung aber möglicherweise auch erst zu spät begonnen – sowie für Personen zwischen 18 und 59 Jahren, bei denen aktuell lediglich 72,5% vollständig geimpft sind (siehe Grafik). Besonders besorgniserregend ist, dass sich die Kurve der Impfungen in dieser Altersgruppe merklich verflacht hat. Damit lassen sich also aktuell deutlich weniger Personen impfen als noch im Sommer.

Quelle: Robert Koch Institut (Wochenbericht vom 11.11.2021); Datenstand 10.11.2021

3. Keine Privatsache

Ein Argument, das von Personen, die sich freiwillig nicht impfen lassen wollen, häufig angeführt wird, ist: „Impfen sei eine individuelle Entscheidung und reine Privatsache.“ Dem möchte ich folgendes entgegnen: Impfen ist nur dann eine reine Privatsache, wenn

  • Die Allgemeinheit nicht unter der von Ihnen ausgehenden höheren Ansteckungsgefahr leidet (direkt durch Ansteckungen oder indirekt durch übergreifende Lockdowns, Abstandsregelungen, Maskenpflicht).
  • Sie die Behandlungskosten eines möglicherweise schwereren Krankheitsverlaufs nicht auf die Sozialgemeinschaft auslagern.
  • Sie kranken Personen nicht den Platz im Krankenhaus wegnehmen.

Unter diesen Umständen (vielleicht habe ich noch welche vergessen, aber ich denke, das sind die wichtigsten) könnte es der Allgemeinheit in der Tat völlig gleichgültig sein, ob Sie sich impfen lassen oder nicht. Aber in unserer Sozialgemeinschaft sind diese Bedingungen nun einmal nicht erfüllt.

So waren es zunächst die symptomatischen Covid-Erkrankungen der Ungeimpften, die die Fallzahlen im Herbst noch oben trieben. Bezüglich der Kosten hat IW-Direktor Michael Hüther diese Woche vorgerechnet, dass „allein die direkten medizinischen Behandlungskosten eines stationären Krankenhausaufenthalts wegen Covid-19 [..] durchschnittlich über 10.000 Euro [betragen], im Fall eines schweren Verlaufs mehr als 38.000 Euro. Hinzu kommen Kosten für Rehabilitationsmaßnahmen und langfristige medizinische Folgen, die noch unabsehbar sind.“ Noch gravierender ist der Umstand, dass Ungeimpfte den Großteil der Intensivbetten belegen.

Die folgenden Grafiken zeigen die unterschiedlichen Hospitalisierungs-Raten für Geimpfte und Ungeimpfte nach Altersgruppen. Bei den Personen, die 60 Jahre oder älter sind, sind Hospitalisierungen neun Mal höher als bei Geimpften. Bei den 18-59-Jährigen ist die Hospitalisierungsrate der Ungeimpften aktuell, nach einem kräftigen Rückgang in den vergangenen Wochen (Daten für Ende Oktober), „nur“ noch drei Mal so hoch. Aber angesichts der wieder angestiegenen Inzidenzen in dieser Gruppe ist zu befürchten, dass sich der Trend schon bald wieder umkehrt. In der Tat hat ein aktueller Bericht des Bayerischen Rundfunks über das Krankenhaus im arg gebeutelten Kreis Traunstein gezeigt, dass von den siebzehn Covid-Patienten, die auf der dortigen Intensivstation behandelt werden, dreizehn umgeimpft sind! Und wenn Krankenhäuser andere Patienten, die dringend behandelt werden müssten, deswegen abweisen müssen, hat das schlichtweg nichts mehr mit einer individuellen Entscheidung zu tun! Stattdessen haben wir es volkswirtschaftlich gesehen mit externen Effekten zu tun.

Quelle: Robert Koch Institut, Wochenbericht vom 4.11.2021

4. Theorie der externen Effekte

Als externe Effekte bezeichnet man in der Volkswirtschaftslehre die Auswirkung ökonomischen Handelns auf die Wohlfahrt eines unbeteiligten Dritten, für die niemand bezahlt oder eine Ausgleich erhält. Das Standardbeispiel für negative externe Effekte ist häufig die Umweltverschmutzung. So haben etwa die giftigen Abwässer einer Fabrik negative Auswirkungen auf die stromabwärts lebenden Fischer. Überlässt man dieses System den reinen Marktkräften, hat die Fabrik keinerlei Anreiz, ihr Verhalten zu ändern. Schließlich ist es für sie die günstigste Lösung, ihren Schmutz einfach in den Fluss zu leiten. Aus gesellschaftlicher Sicht führt das aber zu einem zu hohen Maß an Verschmutzung, da die Kosten für die Fischer nicht berücksichtigt werden. Um das zu ändern und die externen Effekte zu internalisieren stehen der Politik im Wesentlichen drei Optionen zur Verfügung:

  1. Eine Belohnung für die Fabrik dafür, dass sie ihre Abwässer nicht ungefiltert in den Fluss einleitet.
  2. Eine Strafe für die Fabrik, wenn sie ihre Abwässer weiterhin ungefiltert in den Fluss einleitet.
  3. Ein Verbot für das Einleiten ungefilterter Abwässer.

Auch das (Nicht)Impfen hat externe Effekte, da – wie oben beschrieben – die privaten Impfentscheidungen die Wohlfahrt Dritter beeinflussen. Greift der Staat in dieser Situation nicht ein, führen die externen Effekte dazu, dass sich aus gesellschaftlicher Sicht zu wenige Personen impfen lassen. (Eine formalere Analyse über die externen Effekte des Impfens und spieltheoretische Ansätze zu diesem Thema finden sich bei Wein (2021).) Analog zum Umweltbeispiel hat auch hier der Staat aus theoretischer Sicht drei verschiedene Möglichkeiten, um die Impfquote in Richtung des gesellschaftlich optimalen Niveaus zu heben:

  1. Eine Belohnung fürs Impfen,
  2. Eine Strafe fürs Nichtimpfen und
  3. Eine Impfpflicht.

5. Optionen der Politik

1.) Belohnung fürs Impfen

Alle diese drei Optionen wurden in der ein oder anderen Form in den vergangenen Monaten bereits beschlossen oder zumindest diskutiert. Eine Belohnung fürs Impfen gab es vielerorts in Form von Impfprämien. Häufig waren es private Arbeitgeber, die die Impfquote ihrer Belegschaft auf diese Weise erhöhen wollten. Auch wurde vereinzelt mit Gutscheinen für Bratwürste oder andere Produkte geworben. Der Gesetzgeber hat sich dagegen mit einer Impfprämie bislang zurückgehalten. Und das aus gutem Grund. Denn eine solche Impfprämie ist teuer. Selbst wenn einige Personen sich auch ohne Prämie impfen lassen würden, wollen sie spätestens bei der nächsten Booster-Impfung nicht schlechter gestellt werden als die Personen, die länger warten. Und wenn der Staat irgendwann allen 60 Mio. Geimpften eine Prämie zahlen würde, könnten auf Deutschland Kosten im zweistelligen Milliardenbereich zukommen (siehe Hüther). Alternative Impfbelohnungen wären das Absenken der Krankenkassenbeiträge bzw. das Ausschütten eines Gesundheitsbonus. Aber auch das ließe sich wohl nur schwer finanzieren.

2.) Bestrafung fürs Nichtimpfen

Anstatt die Geimpften zu belohnen, könnten man die Nichtgeimpften zur Kasse bitten und auf diese Weise einen Anreiz zum Impfen schaffen. Das kann auf unterschiedliche Arten geschehen. Ein zaghafter und offenbar gescheiterter Versuch der Bundesregierung war das Streichen der kostenlosen Corona-Tests für Ungeimpfte. Genau wie beim Versuch, Impfunwillige mit einer kostenlosen Bratwurst zu locken, war der finanzielle Anreiz vmtl. nicht groß genug. Eine deutlich drastischere Maßnahe hat Sinagapur getroffen. Dort gab das Gesundheitsministerium kürzlich bekannt, dass es die Behandlungskosten für alle freiwillig Ungeimpften nicht mehr übernehmen wird. Auch hier wurde als Begründung genannt, dass es insbesondere die Ungeimpften sind, die die Krankenhäuser füllen und das Gesundheitssystem an seine Grenzen stoßen lassen: „Currently, unvaccinated persons make up a sizeable majority of those who require intensive inpatient care, and disproportionately contribute to the strain on our healthcare resources. [..] Hence, from 8 December 2021, we will begin charging COVID-19 patients who are unvaccinated by choice. This will apply to all unvaccinated COVID-19 patients admitted on or after 8 December 2021 to hospitals and CTFs. COVID-19 medical bills for those who are ineligible for vaccination will still be fully paid for by the government, i.e. children under 12 years old or medically ineligible persons.

So etwas wird es in Deutschland sicherlich niemals geben. Aber man könnte trotzdem darüber nachdenken, ob sich die freiwillig Ungeimpften zumindest teilweise an den höheren Behandlungskosten beteiligen, z.B. über höhere Versicherungsprämien oder Eigenanteile.

3.) Eine Impfpflicht (zumindest für bestimmte Berufsgruppen)

Finanzielle Anreize sind aus volkswirtschaftlicher Sicht in der Regel die präferierte Option. Wenn diese aber nicht zum gewünschten Ergebnis (Herdenimmunität) führen, könnte man auch über eine Impfpflicht nachdenken.

„Nach § 20, VI, S. 1 Infektionsschutzgesetz kann der Bundesgesundheitsminister durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats anordnen, dass „bedrohte Teile der Bevölkerung an Schutzimpfungen oder anderen Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe teilzunehmen haben, wenn eine übertragbare Krankheit mit klinisch schweren Verlaufsformen auftritt und mit ihrer epidemischen Verbreitung zu rechnen ist“. Insofern wäre grund sätzlich eine Impfpflicht gegen SARS-CoV-2 denkbar, da prinzipiell die gesamte Bevölkerung durch das Virus bedroht ist, schwere Verlaufsformen offenkundig sind und sich das Virus ohne Schutzmaßnahmen epidemisch verbreitet. Freilich ist zu prüfen, ob eine Impfpflicht mit Art. 2, II GG2 vereinbar ist, was insbesondere eine Frage der Verhältnismäßigkeit sein dürfte.“

Wein (2021)

Beispiele gab in der Vergangenheit genug. Sie reichen von Pocken, über Diphtherie und Scharlach bis hin zur nach wie vor geltenden Impfpflicht gegen Masern. Bislang wurde die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht gegen Covid von der Politik kategorisch abgelehnt. Allerdings gab es in den vergangenen Wochen spürbare Bewegungen hin zu einer Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen.

So sprach sich der Deutsche Ethikrat für eine Impfpflicht in Bereichen aus, „in denen besonders vulnerable Menschen versorgt werden“. Auch die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina hält eine Impfpflicht für bestimmte Gruppen für eine Möglichkeit der Politik im Kampf gegen Corona. Noch wichtiger: Auch der designierte Bundeskanzler Olaf Scholz befürwortete jüngst die Debatte über eine Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen. Er finde es richtig, „dass wir jetzt eine Diskussion darüber begonnen haben, ob man das machen soll.“ Zu den Gruppen, für die über eine Impfpflicht diskutiert wird, zählen unter anderem ärztliches und pflegendes Personal, Mitarbeitende des Sozialdienstes, Lehrer und andere Berufsgruppen mit viel Kontakt zu anderen Menschen.

6. Mehrheit der Deutschen befürwortet straffere Maßnahmen

Angesichts der dramatisch verschlechterten Corona-Situation hat sich der Wind gedreht. Immer mehr Deutsche sind laut ARD-DeutschlandTrend für straffere Maßnahmen zur Eindämmung der Krise. Gleichzeitig sinkt das Verständnis dafür, dass die geimpfte Mehrheit der Bevölkerung direkt oder indirekt unter der fehlenden Impfbereitschaft einer Minderheit leidet. Michael Hüther formulierte es wie folgt: „Aufgabe der Politik wäre es jetzt, die Solidarität der Mehrheitsgesellschaft nicht überzustrapazieren, sondern zu schützen. Und dazu können ökonomische Anreize einen wertvollen Beitrag leisten.“ Eine Möglichkeit wären partielle Beteiligungen an höheren Krankenhauskosten durch steigende Versicherungsprämien. Wahrscheinlicher ist es aber, dass die Politik versuchen wird, durch eine Impfpflicht für bestimmte Berufe die Impfquote nach oben zu drücken. Das ist zwar nicht der first-best Ansatz, aber aus volkswirtschaftlicher Sicht immer noch besser, als wenn man einen Markt mit ausgeprägten externen Effekten sich selbst überlässt. Außerdem trifft diese Maßnahme auf eine immer breitere Unterstützung in der Bevölkerung. Laut ARD-DeutschlandTrend befürworteten Anfang November 57% der Befragten eine allgemeine Impfpflicht, ein Plus von 11 Punkten gegenüber August. Und eine Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen wird sogar von 74% unterstützt.

Quelle: ARD-DeutschlandTrend vom 4.11.2021